In den vergangenen Jahren haben wir immer wieder auf die negativen Folgen einer vaterlosen Gesellschaft hingewiesen. Kürzlich erreichte uns hierzu ein sehr bewegender Leserbrief von Jörg Krampe aus Bochum, der beschreibt, wie sehr er darunter gelitten hat, dass er ohne Vater, bzw. mit wechselnden Vätern aufgewachsen ist und wie sehr er unter den Langzeitfolgen heute noch leidet.
Leserbrief von Jörg Krampe aus Bochum vom 15.01.2015
Hallo,
aus gegebenem Anlass verfolge ich diese “Vaterlos”-Themen seit einiger Zeit.
Ich bin selbst ohne Vater, bzw mit “Wechselvätern” aufgewachsen und leide wirklich massiv darunter.
Ich bin seit mehr als 30 Jahren drogenabhängig. Mit 13 fing ich an zu kiffen, dann irgendwann Kokain und mit 21 Heroin. Seit ca 10 Jahren hat sich meine Situation beruhigt. Mehrere Langzeit-Therapien, die sicher zu einer gewissen Reflektion geführt haben, aber meine Wurzellosigkeit (die ich ganz klar als Ursache empfinde) aber nicht beseitigen konnten. Dann irgendwann Kapitulation und 10 Jahre Polamidon-Substitution, die mir dann endlich ein relativ normales Leben mit Arbeit, Verwurzelung in meinem Stadtteil, etc ermöglichte.
Ich fand sogar eine Frau, mit der ich eine stabile Beziehung führen konnte. Sie ist in ähnlicher Situation und auch substituiert. Wir heirateten nach 4 Jahren + nach 6 Jahren, also 2010 kam unser Sohn, der trotz Allem wirklich gut geraten ist.
Während der Schwangerschaft verstarb der Bruder meiner Frau in seiner Heimat (die meine Frau wegen ihrer wirklich zerütteten Missbrauchsfamilie mit 17 verlassen hatte) an Heroin. Als dann unser Sohn geboren wurde, manifestierte sich in ihr der Wunsch, zusammen mit mir + unserem Sohn zurück in ihre Heimat zu gehen + dort als grosse Heilsbringerin aufzutreten. Wir zogen auf´s Land in die Eifel in direkte Nachbarschaft zu ihrer Familie. Ich wollte erst nicht, weil ich das bißchen zu Hause, das ich mir in Bochum erarbeitet hatte nicht aufgeben wollte, entsprach ihrem Wunsch aber doch, weil ich in Bochum ja auch meine Vergangenheit hatte + sie einfach liebte.
Ich hatte mich über- und die Situation dort unten unterschätzt. Meine Frau veränderte sich unter dem immer stärker werdenden Einfluss ihres Vaters + ihres alten Umfeldes sehr. Männerkontakte. Beikonsum.
Nach 4 Jahren, also 2014, war Alles vorbei. Sie entschloss sich, dem Werben ihres Dealers, der sich mit ihrem Vater wunderbar versteht, nachzugeben. In einer dramatischen Trennung, die von vielen Lügen + anderen, wirklich gemeinen Dingen begleitet war, tauschte sie mich gegen ihn aus.
Ich konnte nur zurück in meine Heimat flüchten, weil ich dort unten bedroht wurde + auch psychisch mit dieser Sache nicht klar kam.
Da wir jetzt im Sorgerechtstreit sind und ich sonst vor dem Familiengericht keine Chance habe, bin ich aus der Substitution ausgestiegen, was mir immer noch sehr schwer fällt.Zwar habe ich meinen Sohn regelmässig + was ihn betrifft, klappt die Kommunikation mit meiner Frau auch einigermassen, aber ich sehe deutlich, wie er sich verändert. Auch traue ich meiner Frau eine angemessene Lebens- und Erziehungssituation nicht zu und liege damit vollkommen richtig.
Sie lebt jetzt mit jemandem zusammen, der 12 jahre im Gefängnis war, weil durch ihn jemand zu Tode gekommen ist. Ihr Vater war 3 Jahre wegen Vergewaltigung im Gefängnis. Der 10jährige Sohn ihres neuen Partners wird jugendamtsüberwacht und ist extrem auffällig. Die 4 Kinder ihres noch lebenden Bruders ebenfalls. Jeder, wirklich jeder inklusive ihrer Eltern konsumiert Gras und Amphetamine, während ich vollkommen abstinent bin.
Das Jugendamt stellt tatsächlich die Frage, ob es denn sicher kindeswohlgefährdend sei, wenn mein Sohn in einem Umfeld aufwächst, wo täglich konsumiert und gedealt wird. Es sei ja kein Heroin. Der Kleine musste 6 Wochen auf der Neo bleiben, weil er entzügig auf die Welt kam, weil meine Frau in der Schwangerschat ja substituiert war und heimlich Benzos konsumierte. Er hat ganz sicher ein Suchtgedächtnis.
Ich mache mir allergrösste Sorgen und bin durch diese Situation jetzt auch wieder selbst ganz nah an meiner eigenen Wurzelosigkeit. Habe so hart gekämpft, um eine Familie zu haben. Und verliere sie dann wieder auf so eine gemeine Art + Weise. Mir schwinden die Kräfte.
In den Väter- und Trennungsgruppen wird oft geraten, sich erstmal 1 oder 2 Jahre zurück zu ziehen, um nicht selbst zu scheitern und dann aus einer gefestigteren Situation heraus um das Kind zu kämpfen. Schliesslich braucht mein Sohn nicht einfach nur ein Dach über dem Kopf, sondern ein zu Hause, in dem er sich sicher + geborgen fühlen kann.
Aber in diesem Umfeld will ich ihn auf keinen Fall belassen. Dem gegenüber steht, dass es sein gewohntes Umfeld ist, er dort auch ziemlich integriert ist (Kindergarten, Freunde, etc), er dort ein zwar ziemlich kaputtes, aber grosses Umfeld hat, während ich ganz allein bin und in meiner Verwurzelung wieder ganz am Anfang stehe.
Ich kämpfe jeden Tag, um nicht zu verzweifeln.Ich hoffe, meine Situation deutlich wieder gegeben zu haben, ohne zuviel Worte zu machen und würde mich über eine Rückmeldung sehr freuen.
Mit freundlichen Grüssen.
Jörg Krampe
Hallo Jörg,
ich weiss nicht, ob du diesen Kommentar nach so vielen Jahren vom Internetseitenbetreiber noch weiter geleitet bekommst???
Ich bin aber froh zu lesen, dass es dich noch gibt.
Ich hoffe, es geht dir wieder gut!!
Ich habe dich 1996 im Herbst mit deinem Lieschen im „Hof“ Haus II kennengelernt.
Maybe you remember?
Stephan, Helmut, Anja & Helge, Hansi…
Falls du das hier liest, melde dich bitte mal.
04.04.2023
The girl with the long hair…
Lieber Jörg,
eines ist mir aufgefallen: Deine Frau ist NICHT vaterlos aufgewachsen! Auch ihre Brüder nicht, trotzdem ist einer an Heroin gestorben! Also wenn ihr Vater wirklich so ist, wie Du ihn beschreibst, dann sorry, wäre es besser gewesen, sie und ihre Brüder wären ohne ihn aufgewachsen. Über ihre Mutter schreibst Du kaum etwas. Wenn die genau so drauf ist, dann frage ich mich: Wo war das Jugendamt und wieso haben alle Nachbarn weggeschaut? Allerdings kann ich Dir in einem PUnkt nachfühlen: Auch ich wohne in der Nähe des Ortes, wo mein Mann aufgewachsen ist, das ist nicht gut, würde ich jedem davon abraten.
Hallo, Hannah.
Ja, da hast Du Recht. In ihrem Falle wäre es besser gewesen, ihr Vater wäre einfach nicht da. Aber das ist auch wirklich ein extremer Fall. Es ist, wie gesagt, eine Missbrauchsfamilie, in der Gewalt an der Tagesordnung war. Wenn er denn, als Fernfahrer, überhaupt zu Hause war. Auch gab es ja diesen mehrjährigen Gefängnisaufenthalt. Ich denke nicht, dass er seine Vaterrolle jemals adäquat ausgefüllt hat. War er in der Kindheit meiner Frau mal zu Hause, so war die Situation nur geprägt von Angst und auch von Gewalt. Zitat: Unter 5l Blut wird auch kein Krankenwagen gerufen. Dieser Spruch wird heute noch benutzt.
Die Mutter meiner Frau war/ist eine sehr duckmäuserische Frau, die einfach nur versucht hat, den Ball möglichst flach zu halten. Bis heute. Wenn „er“ in der Nähe ist, kann nichtmals telefoniert werden. Jugendamtsüberwacht waren sie, glaube ich, damals in den 80ern nicht. Du musst Dir aber auch klar machen, dass es dort auf den Dörfern in der Eifel nochmal eine besondere Situation ist. „Konservatives“ Desinteresse könnte man es vielleicht nennen.
Meine Frau hat sich mit Hilfe einer Drogentherapie Ende der 90er aus dieser Situation befreit und ist nach Bochum gekommen. Leider gab es 2010 eben die bereits beschriebenen Geschehnisse, die sie und damit uns veranlasssten, dort wieder hinzuziehen.
Hoffe, Deine Fragen beantwortet zu haben. LG.
Hallo Jörg,
Du hörst Dich nach einem Mann an, der wirklich versucht, alle Seiten zu beleuchten, was ich super finde. Genau aus diesem Grund brauchen wir fähige, gut ausgebildete Mitarbeiter auf den Jugendämtern, vor allem aber auch genug davon, die sich ausgiebig mit den Leuten beschäftigen, genau hinschauen und keine Scheuklappen haben. Und dann wird entschieden, wo das Kind hin soll. Ich würde mich auch freuen, wenn Du meine Geschichte liest, die Du unter Erin Koller lesen kannst. Ich würde mich sehr über Feedback freuen, gerne auch über persönliche mail. Bei Erin Koller wirst Du bemerken, dass es ausschließlich um das System geht. Dass mein Ex uns eingesperrt hat, erwähne ich auch nur am Anfang und ich kann die Mutter Deiner Ex auch verstehen, ich war auch sehr lange duckmäuserisch. Vermutlich wurde sie von ihm auch beschimpft und klein gemacht, so dass sie nicht das Selbstbewustsein hatte, sich daraus zu befreien. Aber ich möchte nach Möglichkeit keine Beschimpfungen oder Verurteilungen von Eltern machen. Mein Anliegen ist es, die Mängel des Systems zu bekämpfen und zwar mit Vätern und Müttern und die Kinder in den Mittelpunkt stellen. Machst Du mit? Ich hoffe, dass ich bald Feedback habe zu meiner Geschichte. Gruß, Hannah
P.S.: Wenn Deine Frau z.B. wirklich drogenabhängig ist und Du clean bist, was ich natürlich nicht nachprüfen kann, dann finde ich, sollte das Kind bei Dir sein!