11 UF 173/14 | OLG Stuttgart: Voraussetzungen für gemeinsames Sorgerecht

02.12.2014 | 11 UF 173/14 | OLG Stuttgart

Voraussetzungen für gemeinsames Sorgerecht

aus unserer Urteilsdatenbank zum deutschen Familienrecht

OLG Stuttgart 11 UF 173/14 · Beschluss vom 2. Dezember 2014

Das OLG Stuttgart hat die Voraussetzungen für ein gemeinsames Sorgerecht festgelegt

OLG Stuttgart Beschluß vom 2.12.2014, 11 UF 173/14

Leitsätze

Im Rahmen des § 1626a BGB kann auf die Prüfungskriterien des § 1671 Abs. 1 Nr. 2 BGB zurückgegriffen werden.

§ 1626a BGB enthält keine gesetzliche Vermutung oder ein Leitbild dahingehend, dass die gemeinsame elterliche Sorge gegenüber der Alleinsorge vorzugswürdig ist.




Tenor

I. Die Beschwerde des Beteiligten J. H. gegen den Beschluss des Amtsgerichts – Familiengericht – Ellwangen vom 17.07.2014 – 5 F 194/14 – wird

zurückgewiesen.

Der Beteiligte J. H. trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

II. Der Antrag des Beteiligten J. H. auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird

zurückgewiesen.

Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens: 3.000,00 EUR

Gründe

I.

  1. Die Beteiligten J. H. (Vater / Antragsteller) und die Beteiligten E. M. (Mutter/Antragsgegnerin) sind die nicht miteinander verheirateten Eltern des Kindes D. M., geboren am 00.00.2004. Eine Sorgeerklärung wurde nicht abgegeben.
  2. Das Kind lebte nach der Geburt im Haushalt der Mutter und hatte bis November 2010 regelmäßigen Umgang mit dem Vater. Nach einem Aufenthalt des Kindes in einer Trauma-Klinik Ende 2010/Anfang 2011 fand entsprechend seinem Willen kein weiterer Kontakt zwischen Vater und Sohn mehr statt. Von Oktober 2012 bis zum 30.07.2014 befand sich das Kind in stationärer Heimunterbringung in der Marienpflege E., seit August 2014 ist es wieder in den mütterlichen Haushalt zurückgekehrt. Zwischen den Eltern besteht ebenfalls seit mehreren Jahren kein Kontakt mehr, nachdem im Jahr 2008 in zwei Fällen bei unterschiedlichen Mediatoren Beratungsgespräche gescheitert waren.
  3. Mit dem Ziel der Wiederanbahnung von Umgangskontakten beantragte der Antragsteller im April 2014 die Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge. Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten, das Jugendamt hat sich für eine Beibehaltung der Alleinsorge der Mutter ausgesprochen.
  4. Nach Anhörung des Kindes, der Eltern und des Jugendamtes am 15.07.2014 hat das Familiengericht durch Beschluss vom 17.07.2014 den Sorgerechtsantrag des Antragstellers zurückgewiesen.
  5. Ein Antrag des Antragstellers vom 16.07.2014, mit welchem er durch einstweilige Anordnung die Rückführung des Kindes in den Haushalt der Mutter verhindern wollte, blieb erfolglos (Verfahren 5 F 269/14 – Amtsgericht Ellwangen -, welche Akten der Senat beigezogen hat).
  6. Mit der Beschwerde verfolgt der Antragsteller seinen erstinstanzlichen Antrag weiter. Die Antragsgegnerin tritt der Beschwerde entgegen, das Jugendamt hat in zweiter Instanz keine weitere Stellungnahme abgegeben.
    II.
  7. Die zulässige Beschwerde hat in der Sache keinen Erfolg. Das Familiengericht hat zu Recht den Antrag des Antragstellers auf Übertragung der gemeinsamen elterlichen Sorge für das Kind D. M. zurückgewiesen.
  8. Zur Begründung nimmt der Senat zunächst Bezug auf die zutreffenden Ausführungen der angefochtenen Entscheidung und fügt an:
  9. Gemäß § 1626a Abs. 2 BGB überträgt das Familiengericht in Fällen, in denen die Eltern bei der Geburt des Kindes nicht miteinander verheiratet sind und deshalb die elterliche Sorge zunächst der Mutter allein zusteht, die elterliche Sorge beiden Eltern gemeinsam, wenn die Übertragung dem Kindeswohl nicht widerspricht.
  10. Für die Prüfung, ob die Übertragung der gemeinsamen Sorge dem Kindeswohl widerspricht, kann auf die Kriterien zurückgegriffen werden, die die Rechtsprechung zu § 1671 BGB entwickelt hat. Die gemeinsame Sorge verlangt ein Mindestmaß an Übereinstimmung der Eltern in den wesentlichen Bereichen der Erziehungsfragen und eine grundsätzliche Konsensfähigkeit. Fehlen objektive Konsensfähigkeit und subjektive Kooperationsbereitschaft im Rahmen eines weiterhin bestehenden erheblichen Paarkonfliktes und hindert dies die Eltern auch an der gemeinsamen Erarbeitung von kindgerechten Lösungen, widerspricht eine gemeinsame Sorge dem Kindeswohl (OLG Schleswig FamRZ 2014, 1374). Dabei ist es, ebenso wie im Rahmen des § 1671 BGB, irrelevant, welcher Elternteil die Verantwortung für die fehlende Verständigungsmöglichkeit trägt (OLG Frankfurt FuR 2014, 1374).
  11. Die gemeinsame Sorge ist dann zu verweigern, wenn bei bestehender gemeinsamer Sorge nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB ein Antrag auf Alleinsorge Erfolg hätte (OLG München FamRZ 2013, 1747; OLG Koblenz FamRZ 2014, 319; OLG Karlsruhe FamRZ 2014, 490), was beispielsweise dann naheliegt, wenn mehrfach eine Einigung über eine Umgangsregelung nicht ohne gerichtliche Entscheidung möglich ist (OLG Brandenburg NJW 2014, 233; OLG Frankfurt FamRZ 2014, 1120; KG FamRZ 2014, 1375).
  12. Ist wegen der von starken Spannungen geprägten Beziehung der Eltern untereinander mit ständigen Schwierigkeiten bei der Ausübung der gemeinsamen elterlichen Sorge zu rechnen, ist diese zu verweigern (OLG Frankfurt NJW 2014, 2201). Dabei ist nicht auf die verbalen Äußerungen der Beteiligten im Verfahren, sondern auf die tatsächlichen Verhältnisse abzustellen, die sich insbesondere durch eine Wertung der Verhaltensweisen in der Vergangenheit beurteilen lassen (OLG Nürnberg FamRZ 2014, 571).
  13. Ein Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten einer gemeinsamen Sorge (OLG Nürnberg FamRZ 2014, 571), welches zu einer Änderung der Rechtsprechung im Rahmen des § 1671 BGB zu führen hätte (OLG Celle FamRZ 2014, 857) lässt sich aus der Gesetzesbegründung nicht herleiten und widerspricht zudem der bisherigen Rechtsprechung des BVerfG und des BGH in sorgerechtlichen Verfahren (BVerfG FamRZ 2007, 1876; BGH FamRZ 2008, 592).
  14. Ebenso enthält § 1626a BGB keine gesetzliche Vermutung oder ein Leitbild (so aber OLG Stuttgart FamRZ 2014, 1715) dafür, dass die gemeinsame elterliche Sorge gegenüber der Alleinsorge vorzugswürdig sei. Die Vorschrift beinhaltet lediglich die Vermutung, dass die gemeinsame Sorge dem Kindeswohl nicht widerspricht, wenn keine Gründe ersichtlich sind, die dem entgegenstehen (so auch OLG Frankfurt NJW 2014, 2201).
  15. Die gemeinsame Sorge widerspricht vorliegend dem Kindeswohl, weil die Eltern nicht über die für die gemeinsame Sorgetragung erforderliche Kooperationswilligkeit oder Kooperationsfähigkeit verfügen.
  16. Die gemeinsame Ausübung der Elternverantwortung setzt nach der Rechtsprechung des BVerfG eine tragfähige soziale Beziehung zwischen den Eltern voraus und erfordert ein Mindestmaß an Übereinstimmung zwischen ihnen (BVerfGE 107, 150 ff., 169).

  17. Eine solche ist nicht ersichtlich, vielmehr besteht auf der Kommunikationsebene eine schwerwiegende und nachhaltige Störung, die bereits seit vielen Jahren eine gemeinsam Entscheidungsfindung nicht ermöglicht hat und auch aktuell den Antragsteller dazu bewegt, ohne Rücksicht auf die Belange und Bedürfnisse des Kindes Handlungen zu unternehmen, von denen er annimmt, dass sie die Antragsgegnerin verletzen.
  18. Die Eltern befanden sich nach der Geburt des Kindes mindestens ab 2006 in fachlicher Beratung beim zuständigen Jugendamt. Da beim Allgemeinen Sozialen Dienst keine Fortschritte hinsichtlich einer gedeihlichen Zusammenarbeit erzielt werden konnten, machten sie 2008 den Versuch, sich durch anderweitige Mediatoren unterstützen zu lassen, was jedoch in 2 Fällen nach kurzer Zeit scheiterte. Es konnte lediglich ein Minimalkonsens dahingehend erreicht werden, dass ein regelmäßiger Umgang des Kindes mit dem Vater aufgebaut wurde, welcher bis November 2010 andauerte. Wegen erheblicher Auffälligkeiten musste David im Dezember 2010 stationär in einer Trauma-Klinik aufgenommen werden, wo er nach einiger Zeit berichtete, dass der Antragsteller während der Umgangszeiten beharrlich schlecht über die Mutter gesprochen habe, was er nicht mehr habe aushalten können. Dies äußerte D. auch bei seiner richterlichen Anhörung vor dem Familiengericht, wo er außerdem angab, während der Umgangskontakte vom Vater geschlagen worden zu sein. Nach seiner Entlassung aus der Trauma-Klinik verweigerte D. jeglichen weiteren Kontakt mit dem Vater, welche Weigerung er ebenfalls anlässlich seiner richterlichen Anhörung wiederholte.
  19. 2011 stellte der Antragsteller Nacktbilder von D. ins Internet ein (einschließlich der Heimatanschrift des Kindes bei dessen Mutter), ohne dies zuvor mit der Antragsgegnerin zu besprechen und ohne sich Gedanken darüber zu machen, welche Empfindungen das zu diesem Zeitpunkt immerhin bereits 7-jährige Kind dabei haben könnte.
  20. Ungeachtet der Defizite der Antragsgegnerin, die nicht in der Lage war, allein die psychischen Traumatisierungen des Kindes aufzufangen und deshalb die Einwilligung einer stationären Heimunterbringung ab Oktober 2012 erteilte, verbietet es das Kindeswohl, den Antragsteller derzeit an der elterlichen Sorge zu beteiligen.
  21. Im Anhörungstermin vom 15.07.2014 vor dem Familiengericht wurde ausführlich erörtert, dass D. mit Ablauf des Schuljahres zum 30.07.2014 in den Haushalt der Mutter zurückkehren wird. Die Vertreterin des Jugendamtes ließ keinen Zweifel daran, dass dies von Seiten des Jugendamtes auch unterstützt wird und die Rückkehr durch Einrichtung einer Erziehungsbeistandschaft begleitet wird.
  22. Gleichwohl beantragte der Antragsteller am darauf folgenden Tag den Erlass einer einstweiligen Anordnung dahingehend, dass zur Verhinderung der Rückkehr des Kindes in den mütterlichen Haushalt ihm die elterliche Sorge übertragen wird, hilfsweise eine Verbleibensanordnung in der stationären Einrichtung (Marienpflege) ausgesprochen wird. Dabei trug er wahrheitswidrig vor, dass der Wechsel auf Veranlassung der Mutter erfolge und vom pädagogischen Betreuungskörper der Einrichtung abgelehnt werde. Nach den amtswegigen Ermittlungen des Familiengerichts bei der Marienpflege (Frau S.) entsprach dies nicht den Tatsachen, vielmehr wurde der Wechsel auch von der Einrichtung unterstützt, obwohl der Heimaufenthalt zunächst für 3 Jahre konzipiert war.
  23. Soweit der Antragsteller darauf hinweist, der Verbleib von D. in der Heimunterbringung sei zu dessen Wohl erforderlich, da von dort aus ohne den schädigenden Einfluss der Mutter Umgangskontakte zu ihm aufgebaut werden könnte, stellt sich dies als unrealistisches Wunschdenken dar, nachdem auch die zurückliegenden 2 Jahre der Fremdunterbringung keine Bewegung in den Kontaktabbruch bringen konnten.
  24. Auch wenn der Antragsteller zu Recht darauf verweist, dass allein der gegenstehende Wille des anderen Elternteils die Übertragung der gemeinsamen Sorge nicht hindert, ist eine solche aus den dargestellten Gründen mit dem Kindeswohl nicht vereinbar, wobei sich der Senat der Überzeugung des Jugendamtes vollinhaltlich anschließt, dass der infolge des totalen Kontaktabbruchs derzeit ruhende Konflikt zwischen den Eltern bei erzwungener Kommunikation sofort wieder aufbrechen würde, was sich insbesondere an dem Verhalten des Antragstellers nach dem gerichtlichen Anhörungstermin auch deutlich zeigt.
  25. Der Senat sieht von einer nochmaligen Anhörung der Beteiligten ab, § 68 Abs. 3 FamFG, da sämtliche Beteiligte vom Familiengericht zeitnah angehört wurden und die jeweiligen Anhörungen umfassend dokumentiert wurden. Nachdem im Beschwerdeverfahren keine neuen, bislang nicht berücksichtigten Tatsachen vorgebracht wurden, sind aus einer erneuten persönlichen Anhörung keine entscheidungserheblichen neuen Erkenntnisse zu erwarten.
  26. Die Kostenentscheidung folgt aus § 84 FamFG.
  27. Gründe für die Zulassung einer Rechtsbeschwerde, § 70 FamFG, liegen nicht vor.
    III.
  28. Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist zurückzuweisen, da seine Rechtsverfolgung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, §§ 76 FamFG, 114 ZPO.




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